Wer kann sich Selfcare noch leisten?

In unserer kapitalistischen, schnellen und stressigen Welt werden wir mittlerweile überhäuft mit dem Thema Selfcare, um uns was Gutes zu tun!

In Magazinen, auf Websites und in Büchern finden wir ganz viele Tipps für Selfcare. Sogar Routinen und ganze Bücher sind gefüllt mit Anleitungen und Vorschlägen, wie wir für uns selbst sorgen können. Von Social Media mal ganz abgesehen. Doch die Frage ist, was sind die Grenzen von Selfcare? Wieso sind wir besessen davon, uns Selbstfürsorge zu kaufen, was das Zeug hält? Und weshalb sollten wir uns wieder den Ursprüngen von Selfcare widmen?

Bevor wir über Skincare oder Schaumbad reden, sollten wir einen Schritt zurückgehen. Wir gehen in eine bestimmte Zeit nach Amerika, wo dieses Wort noch eine ganz andere Bedeutung hatte. Oder? 

In den 1960er Jahren haben Aktivist_innen auf die unzureichende Versorgung im Gesundheitssystem aufmerksam gemacht. Ein sehr wichtiger Schritt, den auch Martin Luther King Jr. so sah: “ Of all the forms of inequality, injustice in health is the most shocking and the most inhuman.“

Zu Deutsch: Von allen Formen der Ungleichheit, ist die Ungerechtigkeit in der Gesundheit die am meist schockierende und am meist unmenschliche. Von dort an nahm die Black Panther Party gerechte Selbstfürsorge für alle Menschen als einen politischen Akt und weitgehend auch als eine nötige Veränderung, um die mentale und körperliche Gesundheit gleichberechtigt zu stellen. Und dies führte letztendlich landesweit zu kostenlosen Wellness Programmen und Kliniken als Antwort zu mangelnden Gesundheits- und Sozial-Service Programmen in schwarzen Communities.

Der Grundgedanke war also nicht: Kauft euch Selfcare und gönnt euch einen Urlaub, sondern: WIR sorgen dafür, dass das ganze Land kostenlosen Zugang zu Medizin und Wellness hat. Jede Person bekommt die Möglichkeit und muss sie sich nicht kaufen.

Zur gleichen Zeit kämpften Aktivist_innen in der Frauen Freiheitsbewegung um eine bessere medizinische Versorgung und Forschung. Während so gut wie alles auf einen “schwachen Körper” und “Hysterie” geschoben wurde, starben und leideten viele Frauen und Menschen mit Uterus. Mit Hinblick auf Reproduktive Rechte ging es vor Allem um das Thema Abtreibung (leider noch heute ein großes Thema). Der Zugang zu sicheren Abtreibungen sollte damals wie heute frei und für alle sein. Freie Selbstfürsorge.

Aber nicht nur körperliche Selbstfürsorge, sondern auch mentale Selbstfürsorge ist ein großer Bestandteil des Ursprungs von Selfcare. Wir sehen zurück auf Katastrophen wie der 11. September oder heute auf die COVID-19 Pandemie. Zu solchen Zeiten (und natürlich auch zu jeder anderen Zeit) ist der freie und leichte Zugang zu Therapie absolut wichtig. Wir sollten aber nicht erst nach großen politischen, sozialen und kulturellen Instabilitäten Aufmerksamkeit auf das Thema Mental Health lenken, sondern es zu einem selbstverständlichen Anspruch machen. 

Ich weiß, unter Selfcare verstehen wir heute was ganz anderes. Etwas, was der Kapitalismus für uns erfunden hat. Eine Verantwortung, die jedem einzelnen auferlegt wurde. Die Arbeit stresst dich? Buch’ dir eine Massage! Du hast keine Freizeit? Pech, so ist das Arbeitsleben halt, warte auf deinen nächsten Urlaub. Und leider wirkt es. Der Mensch denkt, damit ist der Stress weg. Zumindest für ein paar Tage. Die Massage reicht geradewegs aus, um nicht mit Protest auf die Straße zu gehen und stattdessen fein weiter zu arbeiten. Nicht, dass Meditation, Yoga oder Relaxation gar nicht helfen. Darum geht es genau genommen gar nicht. Aber es bedeutet für uns, dass wir selbst verantwortlich sind für Burn Out, Depressionen oder Schlafstörungen. Und es mag vor allem weißen, privilegierten, able bodied Menschen wirklich helfen, aber was ist mit dem Rest? Die, die nach der Arbeit einen ganzen Haushalt schmeißen müssen, weil sie alleinerziehend sind. Die, die im Spektrum z.B  Probleme mit Organisation oder Zeitmanagement haben und keine weitere Liste mit Selfcare gebrauchen können. Die, die sich um kranke oder alte Familienmitglieder kümmern müssen. Oder die, die tatsächlich burned out und depressed sind, und kleine Aufgaben mit sehr wenig Energie bewältigen müssen. Auf diese und ganz vielen anderen Menschen achtet das Konzept Selfcare nicht. Es passt nicht und es ist nicht das was hilft. Somit sehen wir: Die heutige Selfcare ist ein Privileg und geschaffen für die Menschen, die unter Kapitalismus am wenigsten leiden. 

Unsere Bedürfnisse nach Ruhe, Gesundheit und einer weniger stressigen Welt sollten nicht zur Selfcare gemacht werden. Selfcare sollte kein Konsumprodukt werden, was man sich leisten können muss. Immerhin profitieren von Selfcare noch immer die, die diese “Selfcare” nötig machen. Clever, nicht? Aus Bedürfnissen wurde ein Markt. Der Ich-Gedanke wurde gefüttert und das solidarische, politische Potenzial ausgemerzt.

Was will ich letztendlich mit all dem sagen? 

Aus Selfcare wieder ein gemeinsames Caring für alle machen. Es zugänglich für alle machen. Strukturen aufbauen, die alle mit einbeziehen. Der gesellschaftliche, öffentliche und gemeinsame Anspruch soll verfolgt werden. Selfcare war ein Prozess und das wird es heute noch sein. Es geht dabei positiver zusammen zu leben und diese Arbeit nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere zu machen.