Am Samstag dem 27.01.2024 fand in Lünen eine der größten Demos gegen Rechtsextremismus statt, die die große Kleinstadt je gesehen hat. Circa 2500 Menschen positionierten sich mit Demoschildern und Progressflaggen bewaffnet gegen Rechtsextremismus und die AfD. Und auch wenn jede Bewegung gegen rechte Demokratiefeinde* ausnahmslos zu begrüßen ist, war die Demonstration aus meiner Sicht von frustrierender Zurückhaltung vor einer zu antifaschistischen Haltung, einem im besten Fall durchwachsenen Programm und mangelnden Partizipationsmöglichkeiten für die Teilnehmer_innen geprägt. Darüber, wie meine Kritik im Detail aussieht und wie hoffentlich folgende Aktionen besser gestaltet werden könnten, habe ich mir in den folgenden Paragraphen ausführlich Gedanken gemacht.
Partizipation der Demonstrant_innen.
Während andernorts Laufdemos angemeldet wurden, war die Demonstration in Lünen von lähmender Passivität seitens der Teilnehmenden* gezeichnet. Weder Bewegung entlang einer Laufroute, noch im Voraus ausgeteilte Demosprüche oder ein Awarenessteam wohnten der Demonstration bei. Abgesehen vom gelegentlichen Klatschen und dem Hochhalten der Pappschilder, gab es für die 2500 Demonstrant_innen nur eine Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Und auch hier gibt es Dinge zu bemängeln. Es mag persönlicher Geschmack sein, doch dem Song ,,lautsein” von MAYBEPOP fehlt es schlicht an Schärfe und Schlagkraft. Inhaltlich ist an sich nichts zu beanstanden, auch wenn die Wortwahl ziemlich vage und indirekt bleibt, gerade wenn man die Texte mit anderen antifaschistischen Hymnen aus dem Mainstream vergleicht, wie etwa ,,Schrei nach Liebe“ oder vielleicht sogar ,,Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“. Auch wenn die Message irgendwo die richtige ist, muss doch kritisiert werden, dass sich für einen derart laschen Song entschieden wurde, der nicht zu radikal ist, den Finger bloß nicht zu tief in die Wunde legt. Welcher Faschist, welcher AfDler fühlt sich schließlich durch soetwas ernsthaft bedroht?
Die Redner_innen.
Die AfD, die Werteunion und andere rechte Demokratiefeinde* bedrohen in erster Linie die Rechte und Freiheiten marginalisierter und unterdrückter Gruppen wie der queeren Community, migrantisch gelesener Menschen, Personen mit Uterus, Menschen mit Behinderung etc. Es ist also bei einer Demonstration, die fast ausschließlich aus Redebeiträgen politischer und gesellschaftlicher Akteur_innen besteht, von zentraler Bedeutung, dass eine möglichst diverse Menge an Menschen zu Wort kommt und ihre Perspektive präsentieren kann. Bedauerlicherweise konnte genau das in Lünen nicht beobachtet werden. Neben Rainer Schmeltzer, der durch die Veranstaltung geleitet hat, kamen unter anderem Politiker der SPD und CDU, ein Unternehmer und der Bürgermeister zu Wort. Bei allen handelt es sich um Cis-Männer, mit dem Unternehmer (dem Anschein nach) lediglich ein POC unter ihnen, der allerdings aus einer sehr priveligierten Position spricht. Auch wenn sich inhaltlich keine großen Patzer oder problematische Aussagen geleistet wurden, hat man definitiv die Buntheit vermisst, die auf den Sharepics noch als ein zu verteidigendes Erkennungsmerkmal für Lünen galt. An dieser Stelle sei nochmal ausdrücklich erwähnt, dass mit Christoph Tölle einem Vertreter der CDU eine Bühne geboten wurde. Eine Entscheidung die, auch wenn die Spitze der Lüner CDU offiziell jede Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt, für mich mehr als nur unverständlich ist. Es ist für die CDU enorm wichtig sich von Rechtsextremismus zu distanzieren, doch dass sie sich in Lünen komplett unkritisch als Verfechter von Menschenrechten positionieren können, nach all dem was sich führende Unionspolitiker_innen in den letzten Jahren geleistet haben, ist zutiefst bedenklich. Die CDU, das ist die Partei, die 16 Jahre lang gemeinsam mit SPD und FDP Deutschland kaputtgespart hat, diverse Lobbyismus-Skandale zu verzeichnen hat, in 2 Jahren Ampel vor allem durch Hetze und Diffamierung gegen linke progressive Kräfte aufgefallen ist und maßgeblich mit für den politischen Rechtsruck im Land verantwortlich ist. Die Brandmauer bröckelt. Es stellen sich mir im Bezug auf die Redner_innen also einige Fragen. Wo sind die jungen, marginalisierten Menschen, die unter einer AfD Regierung einen Verlust an Grundrechten befürchten müssten? Sind konservative, weiße, alte Cis-Männer wirklich die Menschen, denen wir alleinig die Verteidigung unserer Demokratie und Grundwerte überlassen wollen?
Der Lüner Aktionskreis gegen Rechtsextremismus.
Die Demonstration wurde vom Lüner Aktionskreis gegen Rechtsextremismus unter der Schirmherrschaft von MdL Rainer Schmeltzer von der SPD organisiert. Doch so wie es von außen gewirkt hat, waren lediglich Menschen im direkten Umfeld von Herrn Schmeltzer an den Vorbereitungen beteiligt. Eine Situation, die bereits aus vergangenen Aktionen des AKs bekannt ist. Mitglieder des Aktionskreis wurden über den Mailverteiler des AKs erst informiert, als die Vorbereitungen ,,bereits auf Hochtouren“ liefen, wie aus der Mail vom 23. Januar hervorgeht. Der Lüner AK gegen Rechtsextremismus scheint, so wichtig er auch ist, zwar zahlreiche Mitstreiter_innen aus diversen kommunalen Organisationen zu haben, jedoch über eine mangelhafte innere Struktur zu verfügen. Es muss sich die Frage gestellt werden, warum der Aktionskreis gegen Rechtsextremismus in Lünen nur mit einem Rainer Schmeltzer funktioniert. Es ist höchste Zeit, dass der AK vom Engagement seiner zahlreichen Freiwilligen* Gebrauch macht und einen demokratisch gewählten Vorstand aufstellt, der die demographischen Strukturen und vielfältigen Ansichten seiner Mitglieder_innen besser repräsentieren kann. Wie im Verlauf dieses Beitrags deutlich wird, bildet die, aus meinen Augen mangelnde Organisationsstruktur, die Wurzel meiner weiteren Kritikpunkte und ist umgehend vom Aktionskreis anzugehen.
Systemkritik.
An dieser Stelle sei erneut betont, dass auf dieser Demonstration nur überaus privilegierte Personen gesprochen haben, die vom aktuellen Sozioökonomischen System profitieren oder profitiert haben. Ein SPD Politiker, der in den Landtag gewählt wurde. Der Bürgermeister der Stadt. Führende Mitglieder der Lüner CDU. Das wird in dem Moment wichtig, in dem die Kritik über die Machenschaften von Nazis und Menschen am rechtsextremen Rand hinausgeht. Zur AfD lässt sich eine klare Grenze ziehen. Doch die Organisationsstruktur der Demonstration und ferner des AKs erlaubt es den führenden Akteur_innen, sich selbst nicht zu kritisch reflektieren zu müssen und mal mehr, mal weniger bewusst, die Demonstration zu Zwecken der Selbstdarstellung zu instrumentalisieren. Als Paradebeispiel sei die CDU genannt, die am Samstag beispielsweise mit Flaggen und Ballons aufgetaucht ist, getränkt in das tiefe Türkis des neuen Corporate Designs der Unionspartei. Auch Flaggen der SPD und Linken waren zu sehen. Sage ich, dass politische Parteien bei solchen Events keine Sichtbarkeit verdient haben? Nein. Wie bereits erwähnt ist es überaus wichtig, dass gerade Parteien, die der AfD inhaltlich näher stehen, eine klare Grenze ziehen und das auch öffentlichkeitswirksam verkünden. Doch es ist auch überaus wichtig als Veranstalter_in einer Demonstration gegen Rechts, auf Inhalte im politischen Handeln der anwesenden demokratischen Parteien hinzuweisen, die auf ein Einknicken vor der Diskursdominanz der Faschisten verweisen. So wurde es beispielsweise von den Veranstalter_innen auf der Demo in Bochum gehandhabt, auf der vor der Aushöhlung des Rechts auf Asyl durch das am Tag zuvor beschlossene Rückführugsverbesserungsgesetz gewarnt wurde. Es ist von elementarer Bedeutung zu verstehen, dass rechtes Gedankengut nicht plötzlich entsteht, wenn man den AfD Mitgliedsantrag unterzeichnet. Durch den Rechtsruck sind viele rechte Talking Points bereits in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Das Diskursklima ist rauer geworden und marginalisierte Gruppen, wie die queere Community, spüren die Folgen rechter Hetze bereits jetzt. Dazu kommt, dass die blau-braunen Getreuen versuchen, den Rechtsruck zu instrumentalisieren, um ihre eigenen Positionen weiter zu normalisieren und zu legitimieren. So wurde das eben angesprochene Rückführungsverbesserungsgesetz dazu genutzt, die Geschehnisse vom 25. November in Teilen zu relativieren. Das Overton-Fenster verschiebt sich mit zunehmender Geschwindigkeit nach rechts, und es ist Irrglaube die AfD hätte das ganz alleine bewerkstelligt. Dieser negative Feedbackloop lässt sich nur durch eine klare Abgrenzung zu jedweder Form der nationalsozialistischen Ideologie durchbrechen und es müssen auch die vermeintlich linkesten Teile unserer Regierung dahingehend von uns allen kontrolliert werden. Dieses Problem wirkt sich auch auf die Teilnehmenden* der Demo aus. In unserer Gesellschaft, die auf dem blutigen Fundament des Rassismus, Kolonialismus und der Ausbeutung gebaut ist, sind Personen der politischen Mitte dazu geneigt, die eigenen problematischen Haltungen nicht wahrzunehmen, sich nach der Demo auf die Schulter zu klopfen und es dabei zu belassen. Eine Demo ist natürlich keine reine Aufklärungsveranstaltung. Aber wenn Redebeiträge und Demosprüche dazu führen, dass Menschen beispielsweise für das Thema Rassismus sensibilisiert werden und sich vielleicht sogar weiterbilden, kann der Faschismus besser verstanden und bekämpft werden. Nur kommen derartige Beiträge weder von einem Rainer Schmeltzer noch von einem Jürgen Kleine-Frauns. Die Kritik am ,,bürgerlichen” Rechtsextremismus findet natürlich nicht ausreichend statt, wenn genau die Personen, die durch die Demonstration führen, Teil des Systems sind, das ein Aufstreben der AfD erst ermöglicht hat. Ich wiederhole also mein Anliegen, die Organisation des wichtigen Lüner AK gegen Rechts dringlichst zu refomieren und die Kontrolle den parteipolitischen Akteur_innen ein Stück weit zu entziehen.
Mut zur Radikalität.
Das Toleranz-Paradoxon nach Karl Popper beschreibt grob beschrieben das Phänomen, dass tolerante Kräfte, sobald sie Toleranz gegenüber intoleranten Personen oder Gruppierungen zeigen, diesen erlauben die eigene Toleranz zu beschränken oder gar abzuschaffen. Auf die AfD übertragen heißt das beispielsweise, dass wenn die AfD über die Institution der Demokratie an die Macht kommt, sie eben diese Demokratie nach und nach abschaffen kann, wie es mit Rechtspopulist_innen/Rechtsextremist_innen in anderen Staaten zu beobachten ist. Eine allumfassende, universelle Toleranz schadet also toleranten, demokratischen Kräften mit der Zeit. Es ist also mehr als okay, ja sogar notwendig, Menschenfeinden* und den rationalen Diskurs verweigernden Akteur_innen ihr eigenes Gift zu verabreichen. Jetzt gerade ist die Zeit, sich radikaler denn je für unsere demokratischen Grundwerte einzusetzen und unsere schwersten Geschütze aufzufahren. Doch das erreichen wir nicht, indem wir Hagelstein und ihrem nationalistischen Umfeld weichgekochte Popmusik, ein Blasorchester, dass unter anderem Mr. Sandman gespielt hat, CDU Politiker _innen, Kapitalist_innen, politische Zentrist_innen oder Redner_innen die sich nicht trauen das Wort Antifaschismus in den Mund zu nehmen, entgegenstellen. Wo ist der Hass und die Wut gegen Nazis, die unsere Freund_innen und Familienmitglieder_innen deportieren wollen? Die Ressentiments gegen jene, die ungeniert lügen und manipulieren, nach unten treten und denen jedes Mittel Recht ist, um politische Macht zu ergreifen? Als privilegierter weißer Cis-Mann, weiß ich, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und werde somit radikal mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern, dass meinen queeren, migrantischen und behinderten Mitmenschen ihre Grundrechte entzogen werden. Und dazu gehört, dass ich auf Demos antifaschistische Parolen rufen will und ich die Perspektive von jungen Trans-Menschen, POCs, Menschen mit Behinderungen und weiblich gelesenen Personen hören möchte. Was ist mit euch?